VAR-Exzess

5 Tore aberkannt, 2 Mal Rot, 21 Minuten Nachspielzeit

Das London-Derby befeuert die englische Debatte um den VAR-Einsatz weiter. Chelsea schlug die Spurs in einem verrückten Spiel 4:1.


Sebastian Klein
5 Tore aberkannt, 2 Mal Rot, 21 Minuten Nachspielzeit
Zwei Tottenham-Spieler flogen im Derby.
IMAGO/Sportsphoto

Chelsea schaffte am Montagabend einen wichtigen Schritt aus der Krise, schlug Rivale und Tabellenführer Tottenham in dessen eigenen Stadion 4:1 und hievte somit Titelverteidiger Manchester City auf Platz eins in der Premier League. Gesprächsthema Nummer eins nach einem packenden Spitzenspiel auf der Insel: der VAR und dessen Umsetzung.

Zwei Platzverweise, fünf zurückgenommene Tore, insgesamt 21 Minuten Nachspielzeit und zahlreiche weitere VAR-Eingriffe: Das hitzige Londoner Derby war geprägt von Michael Oliver und dessen Zeigefinger am Ohr, der den Kontakt zum Videoschiedsrichter signalisierte.

VAR im Mittelpunkt

Die Handhabung des VAR steht in England seit Jahren unter genauer Beobachtung, bei vielen Fans, Trainern und Spielern in der Kritik. In der noch jungen Saison droht den Unparteiischen und den Regelhütern die Kontrolle über jenes Werkzeug, das eigentlich zur Unterstützung und Steigerung der Fairness eingeführt wurde, zu entgleiten. 

Eines vorweg: Chelsea siegte verdient, weil sich Tottenham sprichwörtlich ins eigene Bein schoss. Tottenham spielte verdient in Unterzahl, verlor nicht aufgrund von Schiedsrichterfehlern.

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    Der VAR wird dennoch in den sozialen Medien zerlegt. Warum? Weil er in Nordlondon vom Hilfsmittel zum Hauptdarsteller wurde, der Fußball in den Hintergrund rückte.

    Beide Trainer genervt

    "Das war das verrückteste Fußballspiel, das ich je gesehen habe", fasste Sky-Kommentator Joachim Hebel das Spektakel treffend zusammen. Im Minutentakt hatten Abseitsüberprüfungen, Rot- oder Elferchecks das Derby unterbrochen. So monierte auch Spurs-Trainer Ange Postecoglou nach dem 1:4 nicht die Entscheidungen, sondern den zu langen Prozess: "In 26 Jahren als Trainer hast du viele schlimme Pfiffe gegen dich, andere für dich. Ich bin immer der Meinung: akzeptieren, weiterspielen. Was mich stört: Wir sind ein Team, das Fußball spielen will, nicht nach jeder Aktion zwei Minuten am Platz rumstehen und warten …"

    Sein Gegenüber, Chelsea-Trainer und Ex-Lilywhite Mauricio Pochettino: "Ich muss ihm zustimmen. Ich war hier Trainer, als die Einführung des VAR diskutiert wurde. Viele Trainer waren damals dafür. Jetzt beschweren sie sich jede Woche über eine 'Schande' einer Entscheidung." Pochettino fügte hastig an: "Ich meine nicht Arteta." Arsenal-Trainer Mikel Arteta hatte sich am Wochenende nach der 0:1-Niederlage gegen Newcastle über "nicht akzeptable" Schiedsrichterfehler beschwert. 

    Irrer Spielverlauf

    Zum Spiel: Tottenham sah zwei Mal Rot. In der ersten Hälfte flog Argentiniens Weltmeister Cristian Romero vom Platz. Paradoxerweise für das Wegschlagen des Balles, weil er anschließend seinen Gegenspieler mit offener Sohle traf. Der Elfmeter war vertretbar, Rot wohl zu hart. Dafür hätte Romero bereits Minuten zuvor wegen einer Tätlichkeit vom Platz gestellt werden müssen, die hingegen ungeahndet geblieben war.

    Zu kompliziert? So ging es auch den Zusehern vor dem Fernseher, keine Angst. Und es sollte noch schräger werden. Denn auch Destiny Udogie flog nach dem Seitenwechsel, der Italiener mit Gelb-Rot. Die zweite Gelbe war korrekt. Der junge Linksaußen hätte wohl schon für sein erstes Vergehen Glattrot sehen müssen, als er mit beiden gestreckten Beinen voran in den Zweikampf gesprungen war.

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      IMAGO/HMB-Media

      Auf der Gegenseite kam Reece James trotz Ellbogenschlages ins Gesicht ohne Ausschluss davon, sah nicht einmal Gelb. Eine Schwalbe von Raheem Sterling resultierte weder in einer gelben Karte noch im überprüften Elfmeter. Drei Chelsea-Tore und zwei Spurs-Treffer zählten nach jeweils ausgiebiger Überprüfung am Bildschirm nicht. Alle Tore wurden zurecht aberkannt. Die Dauer der VAR-Checks war in zwei Fällen geradezu absurd lang – das Handspiel beziehungsweise Abseits eigentlich offensichtlich.

      In rund einem Dutzend weiteren Situationen bleib, wie in den Regeln vorgesehen, trotz Abseitsposition die Fahne zunächst unten, der Angriff wurde fertiggespielt, ehe dann doch der Pfiff erfolgte. Der Grund ist klar: Wegen der Möglichkeit des VAR-Eingriffes sind Assistenten angehalten, die Fahne unten zu lassen. Eine Abseitsposition kann man nachträglich vor dem Bildschirm ahnden. Ein fälschlich beendeter Angriff könnte nicht wiederholt werden. Soweit verständlich, für Fans und Spieler vor allem in dieser Häufigkeit nervig.

      So gab es in der ersten Spielhälfte unglaubliche zwölf, in Halbzeit zwei neun Minuten Nachspielzeit. Macht insgesamt 21 Minuten, die hauptsächlich auf das Warten auf fernsehende Unparteiische zurückzuführen waren. Nachdem die Liga heuer schon haarsträubende VAR-Fehler zugegeben hat, in zahlreichen weiteren Fällen für die fehlende Linie und mutmaßliche weitere Fehler kritisiert wurde, flammt nun die grundlegende Debatte über den Einfluss des VAR auf das Spiel neu auf. Die Fans im Mutterland des Sports wollen Live-Fußball sehen, keine Wiederholungen.

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