"Alles andere als harmlos"
19 neue Fälle – Masern-Experte warnt vor Komplikationen
Die Masern haben sich fast auf ganz Österreich ausgebreitet. Zuletzt sind 19 neue Fälle hinzugekommen. Virologe Lukas Weseslindtner im Interview.
Am Montag wurden noch 110 Masern-Fälle in acht Bundesländern Österreichs von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) gemeldet. Nur 24 Stunden später wurden 19 weitere Infektionen bestätigt. Die Zahl ist somit auf 129 gestiegen – und das nur seit Jahresbeginn 2024.
Damit steht Österreich vor einem neuen Masern-Rekordjahr - obwohl das ansteckendste Virus überhaupt schon lange ausgerottet sein könnte.
30 Prozent der Infizierten landen im Spital
Aktuell wird noch mit weiteren Fällen gerechnet. Das liegt vor allem daran, dass hierzulande die Durchimpfungsrate in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Diese liegt bei Erwachsenen bei 86 Prozent (Stand 2022), bei den Kindern deutlich darunter. Dabei handelt es sich hierbei nicht um eine harmlose Kinderkrankheit, sondern ein hochansteckendes Virus, das den ganzen Körper betrifft, gegen das es keine Therapiemöglichkeit gibt, das in vielen Fällen zu Komplikationen führ und schwerwiegende Folgen mit sich bringt.
"Heute" hat den Virologen und Masern-Experten Lukas Weseslindtner von der MedUni Wien zum Interview gebeten:
Seit Jahresbeginn gibt es in Österreich 129 bestätigte Masernfälle, das sind innerhalb von 1,5 Monaten fast so viele, wie 2023 (186 Masern-Fälle) – werden wir diese Zahl überschreiten?
Lukas Weseslindtner: Es steht zu befürchten, dass die Fallzahl weiter zunimmt und wir dieses Jahr sogar mehr Fälle als letztes haben. Das liegt daran, dass wir jetzt mehrere Brandherde im ganzen Land haben, von denen sich das Virus ausbreiten kann.
„Es steht zu befürchten, dass die Fallzahl weiter zunimmt und wir dieses Jahr sogar mehr Fälle als letztes haben.“
Warum gibt es in Österreich so viele Masern-Fälle?
Zuerst wurden Masernviren von infizierten Personen aus anderen Ländern importiert, und wenn in der Umgebung der infizierten Personen nicht ausreichend Menschen immun sind, können die Masern bei uns Fuß fassen und sich verbreiten.
Was macht Masern so gefährlich?
Masernviren verursachen eine systemische Virusinfektion, das heißt, das Virus vermehrt sich im ganzen Körper. Dies führt zu einer hohen Komplikationsrate und der Möglichkeit von Langzeitfolgen.
Mit welchen Symptomen machen sich Masern bemerkbar?
Die ersten Symptome ähneln denen eines respiratorischen Infekts. Also Husten und Schnupfen, oft mit einer Bindehautentzündung dazu. Dazu kommt Fieber, und erst nach ein paar Tagen bildet sich der typische kleinfleckige Ausschlag.
Eine "harmlose Kinderkrankheit" – warum trifft beides nicht auf Masern zu?
Weil die Masern nicht nur Kinder betreffen, sondern Menschen aller Altersgruppen, die mit dem Virus in Kontakt kommen und nicht immun sind. Außerdem sind die Masern mit einer Komplikationsrate von etwa 20 Prozent alles andere als harmlos.
Können Masern behandelt werden?
Nein, es gibt keine spezifische antivirale Therapie.
Welche Komplikationen können auftreten?
Im Rahmen der akuten Infektion kann sich eine Mittelohr- oder eine Lungenentzündung bilden. Außerdem kann das Gehirn betroffen sein und sich eine Hirnentzündung entwickeln. Im letzten Jahr mussten fast 30 Prozent der Maserninfizierten ins Krankenhaus.
Ist es nach einer überstandenen Infektion vorbei? Was kann die Infektion für Auswirkungen auf den Körper haben?
Die Masern verursachen eine anhaltende Immunsuppression. Durch die Infektion mit dem Masernvirus wird das immunologische Gedächtnis gelöscht und man ist anfälliger für andere Erreger. Außerdem gibt es noch die seltene Langzeitfolge einer schleichenden Hirnentzündung, die erst mehrere Jahre nach den Masern auftritt.
„Durch die Infektion mit dem Masernvirus wird das immunologische Gedächtnis gelöscht und man ist anfälliger für andere Erreger.“
Kann man die Masern ausrotten?
Ja, das ist möglich. Aber dazu bräuchte man auf der ganzen Welt einen Durchimpfungsrate, bei der mindestens 95 Prozent aller Menschen die zweite Impfung erhalten haben. Dann würde das Virus aussterben.
Wann oder wie sollte geimpft werden?
Impfen kann man erst ab dem 9. Lebensmonat. Davor sind Babys darauf angewiesen, dass in ihrer Umgebung alle immun sind. Danach braucht es zwei Teilimpfungen, um mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit immun zu sein. Dabei spielt es keine Rolle, wann im Leben die Impfungen verabreicht wurden. Fehlt eine oder gar beide Impfungen, sollte man die Fehlende(n) möglichst bald nachholen. Das gilt besonders in der aktuellen Situation. Ausgenommen sind Menschen, die sicher wissen, dass sie die Masern durchgemacht haben. Eine Infektion mit dem Wildvirus hinterlässt lebenslange Immunität.
Im Jahr 2019, sprich vor der Pandemie, gab 151 Fälle, zwischen 2020 und 2022 weit weniger – warum?
In weiten Teilen der Welt wurde die Masernzirkulation durch die Maßnahmen, die gegen die SARS-CoV-2 Pandemie ergriffen wurden, stark verlangsamt. Das haben wir auch in Österreich bemerkt, und die wenigen importierten Fälle konnten schnell isoliert werden, und es gab keine Folgefälle. Im Jahr 2023 kam es dann leider zu einem unglücklichen Zufall. Eine infizierte Person, die sich in der Inkubationszeit befand, aber schon ansteckend war, besuchte eine große Hochzeit. Das hat wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Derzeit haben wir nun gleichzeitig mehrere Quellen für Ausbrüche.