Welt
Massiver Rechtsruck schockt Deutschland
Kanzlerin Angela Merkel schafft trotz Verluste den Sieg bei der Bundestagswahl. Schulz' SPD stürzt ab und will in Opposition gehen, eine Jamaika-Koalition droht.
Deutschland hat gewählt: Das Ergebnis ist eine historische Zäsur, die international für Aufregung sorgt. Bundeskanzlerin Angela Merkel konnte zwar trotz hoher Verluste mit ihrer Union Platz 1 verteidigen, doch die große Koalition mit der SPD ist Geschichte. Und: Erstmals seit dem 2. Weltkrieg ist es mit der AfD einer rechtsextremen Partei gelungen in Fraktionsstärke in den deutschen Bundestag einzuziehen.
Trotz des massiven rechten Gegenwindes, konnten Merkels Christdemokraten bei der Bundestagswahl ihre Spitzenposition halten. Die amtierende Kanzlerin erreichte mit ihrer Partei 32,9 Prozent der Stimmen, musste aber einen Verlust von 8,6 Prozentpunkten hinnehmen (Vorläufiges Endergebnis nach Auszählung aller Wahlkreise)!
"Wir hatten uns ein besseres Ergebnis gewünscht. Ich freue mich mit Ihnen, dass wir unsere strategischen Ziele erreicht haben: stärkste Kraft, Auftrag zur Regierungsbildung, gegen uns kann keine Regierung gebildet werden", zog Merkel noch am Wahlabend in der CDU-Zentrale in Berlin Bilanz. Rein rechnerisch wäre sich auch eine Fortsetzung der großen Koalition aus CDU/CSU und Schulz' SPD ausgegangen. Doch daraus wird nichts.
SPD zieht in die Opposition
Die Sozialdemokraten haben unter der Führung von Spitzenkandidat Martin Schulz das schlechteste Ergebnis ihrer Parteihistorie eingefahren und kommen nach aktuellen Hochrechnungsdaten von Sonntagabend nur noch auf 20,5 Prozent (- 5,2). Schulz denkt trotz der Niederlage nicht ans Aufgeben und verkündete bei der Ansprache im Anschluss an die erste Hochrechnung seine Partei in die Opposition führen zu wollen: "Mit dem heutigen Abend endet unsere Zusammenarbeit mit der CDU/CSU in der großen Koalition."
Den Schritt in die Opposition hätte die Parteispitze einstimmig beschlossen, so Schulz. Er sei mit der SPD angetreten um Merkel vom Thron zu stoßen, eine Fortsetzung der Koalition sei deshalb keine Option. Nur: den Oppositionskampf im Bundestag will er offenbar nicht selbst übernehmen, denn laut der "Rheinischen Post", die sich auf Insider-Informationen beruft, soll Schulz schon am Montag Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles als neue Fraktionschefin vorschlagen wollen.
AfD wird drittstärkste Kraft
Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) hat bei der Wahl am Sonntag einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Unter der Führung von Spitzenkandidat Alexander Gauland und den kontroversen Aussagen von Parteisprecherin Frauke Petry konnte die Partei massiv zulegen. Mit 12,6 Prozent der Stimmen ist die AfD nun nach der gebeutelten SPD drittstärkste Kraft im Bundestag. Besonders in Ostdeutschland konnte die Partei viele Wähler dazugewinnen. Erstmals seit dem 2. Weltkrieg ist somit eine extreme Rechtspartei im deutschen Bundestag vertreten.
Der politische Tonfall im deutschen Parlament dürfte durch den Einzug der AfD in den kommenden Jahren um einiges ruppiger werden. "Wir werden Frau Merkel jagen", kündigte Gauland an. Seine Partei werde sich "unser Land und unser Volk zurückholen".
Auf dem Berliner Alexanderplatz, wo die AfD den Wahlausgang feierte, hatten sich noch am Abend hunderte Demonstranten versammelt, die gegen den Rechtsruck protestierten. Parolen à la "Haut ab" und "Rassistenpack" waren zu hören. Die Polizei schirmte mit einem Großaufgebot das Gebäude vor der aufgebrachten Menge ab.
FDP schafft Wiedereinzug
Großer Jubel, allerdings ohne Gegendemo, auch bei den Liberalen. Die Freie Demokratische Partei (FDP) schaffte es unter Spitzenkandidat Christian Lindner wieder in den Bundestag einzuziehen.
Nachdem man 2013 noch an der 5-Prozent-Hürde gescheitert war, gaben dieses Mal beinahe doppelt so viele Deutsche ihre Stimme der mitte-rechts Partei. Die FDP kam auf 10,7 Prozent, ein Plus von 5,9 Prozentpunkten. Sie konnte sich damit deutlich von den Grünen (8,9 Prozent) und Linken (9,2 Prozent) absetzen.
Jamaika-Koalition für Deutschland
Insgesamt war bei der Bundestagswahl ein deutlicher Rechtsruck bemerkbar. Mit der ehemaligen Koalition unzufriedene Menschen straften CDU/CSU und SPD und wanderten beinahe 1:1 zur AfD und FDP ab. Die Stimmung in Deutschland ist zerrissen, während die einen jubeln, sehen andere für die künftige Regierung unwirsche Zeiten voraus.
Nachdem die SPD in Opposition gehen wird, steht Deutschland wohl die sogenannte Jamaika-Koalition aus Merkels CDU/CSU, FDP und Grünen ins Haus. Zusammen kämen die drei Parteien auf eine knappe absolute Mehrheit von 52,5 Prozent. Das Problem: Grüne und FDP können absolut nicht miteinander.
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(rcp)