Wegen Bestell-Interview
ZiB-Redakteurin nach Kritik gefeuert – sie klagt ORF
Sonja Sagmeister (49) verweigerte ein politisch "bestelltes" Interview. Danach wurde sie ins "Todesarchiv" versetzt und schließlich gekündigt.
Ein (für den ORF) brisanter Fall wird derzeit am Wiener Arbeits- und Sozialgericht verhandelt. Die langjährige ZiB-Redakteurin Sonja Sagmeister (49) klagte den ORF, nachdem sie dieser im vergangenen Herbst gekündigt hatte. Der Kündigung war ein lange schwelender Konflikt vorausgegangen – "Heute" berichtete bereits mehrfach.
Worum geht's? Die renommierte Wirtschafts-Journalistin, die seit 30 Jahren für den ORF tätig ist, sollte im Oktober 2022 ein Interview mit Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) führen – auf Anordnung ihrer damaligen Vorgesetzten Barbara Battisti ausschließlich zum Thema Arbeitsmarkt-Budget. Auch die Ausstrahlung war noch vor dem Interview für den darauf folgenden Sonntag in der ZiB1 fixiert.
Sagmeister lehnte Auftrags-Interview ab
Sagmeister hielt sich jedoch nicht an die Vorgaben, wollte den Minister auch zu Themen wie die hohe Inflation und Gehaltsverhandlungen befragen. Das gefiel dessen Pressesprecherin aber nicht: "Sie hat zu mir mit einem Lächeln gesagt: 'Wir machen das wie ausgemacht. Das hab' ich mit ihrer Chefin so besprochen'", berichtete Sagmeister vor Gericht.
Die Journalistin ließ sich jedoch nicht beeinflussen: "Ich hab' ihr erklärt, dass das nicht PR ist, sondern Journalismus. Wir sind ja nicht in Nordkorea, Journalisten sind keine Mikrofonständer", so Sagmeister zu Richter Andreas Freundorfer. Die 49-Jährige führte das Interview – wie sie es geplant hatte – durch, Kocher konnte alle Fragen beantworten.
Aus Dienstplan gestrichen
Auch beim Schnitt des Rohmaterials konnte sich die Wienerin journalistisch durchsetzen: "Ich habe einen guten Beitrag abgeliefert, der auch so gesendet wurde." Rückblickend gesehen, weiß Sagmeister heute: "Das war mein Schicksalstag." Nachdem die zweifache Mutter ein Protokoll der Vorkommnisse verfasst und dieses u.a. an Generaldirektor Roland Weißmann geschickt hatte, ging die Schikane los.
Zuerst musste die Journalistin ihren Resturlaub bis Weihnachten aufbrauchen. Als sie am 15. Dezember wieder in die Redaktion zurückkehrte, hatte sie ein Gespräch mit ihrer Vorgesetzten: "Sie sagte, dass ich beim Dienstplan flexibler werden muss. Ab sofort soll ich jeden Tag bis 16.30 Uhr ins ORF-Intranet schauen, ob ich am nächsten Tag gebraucht werde. Das war absolut unüblich, und ich war die Einzige, für die das galt. Ich musste ständig auf Abruf bereit sein", erzählte Sagmeister, die damals in Elternteilzeit etwa sieben bis acht Dienste pro Monat hatte.
„Ich war plötzlich journalistisch eingesperrt. Ich war eine Persona non grata“
Danach ging das laut Sagmeister schikanöse Verhalten weiter: Nach einem gewünschten Dreh in Kärnten wurde der 49-Jährigen der Schnitt des Beitrags storniert – das brandaktuelle Material landete im Archiv. Andere Vorschläge zu Interviews oder Beiträgen wurden rundweg abgelehnt. Erst nach einer Krisensitzung im Jänner wurde die Journalistin auf Druck zweier Betriebsräte wieder in den Dienstplan aufgenommen.
"Ich wollte wieder recherchieren, aber meine Vorgesetzte meinte, dass ich eine Cool-Off-Phase benötige", erinnerte sich Sagmeister. Statt investigativer Recherche musste sich die ORF-Mitarbeiterin den ganzen Tag im sogenannten "Todesarchiv" mit Nachrufen auf bekannte (noch lebende) Persönlichkeiten beschäftigen: "Mir ist es gesundheitlich schlecht gegangen. Ich war immer eine leidenschaftliche Journalistin, aber plötzlich war ich journalistisch eingesperrt. Ich war eine Persona non grata", so Sagmeister.
Die Bilder des Tages
ORF kündigte langjährige Journalistin
Die 49-Jährige schaltete schließlich einen Anwalt ein und später die Arbeiterkammer – ohne Erfolg. Ende Juli 2023 reichte Sagmeister Klage beim Arbeits- und Sozialgericht wegen "Feststellung der Unwirksamkeit einer Versetzung" ein. Kurz vor der Verhandlung am 27. September wurde sie vom ORF gekündigt – in der Verhandlung dann sogar "unwiderruflich".
Heuer, am 30. September, lief die Kündigungsfrist schließlich aus, wie Sagmeister auf X bekannt gab.
Dennoch will die 49-Jährige nur eines: "Ich will so gerne wieder als Journalistin arbeiten!" Dass das wieder beim ORF sein wird, schloss der Anwalt der Gegenseite bei der Verhandlung kategorisch aus. Die Kündigung von Sagmeister sei aufgrund einer (karitativen), laut ORF nicht gemeldeten Nebenbeschäftigung erfolgt.
In einer früheren Beantwortung erklärte ein ORF-Sprecher auf "Heute"-Nachfrage, dass der Grund für die Kündigung "mehrere Verfehlungen von Frau Sagmeister waren, welche mit ihrer dienstlichen Stellung als Journalistin des ORF nicht vereinbar waren. Die erhobenen Vorwürfe stehen hingegen in keinem Zusammenhang mit der Kündigung." Zudem seien die Vorwürfe von Frau Sagmeister unzutreffend, es sei zu keiner Einflussnahme auf die journalistische Tätigkeit gekommen.
Wie unabhängig ist der ORF?
Die maßgebliche Frage in der Verhandlung wird also lauten: Wie unabhängig ist der ORF? Für Richter Freundorfer war klar: "Hier kommt es auf das Motiv der Kündigung an." Nach der Aussage von Sonja Sagmeister sind nun weitere Zeugen, darunter auch ihre ehemalige Vorgesetzte und der ORF-Personalchef, am Zug. Ein schnelles Urteil ist wohl mehr als fraglich.
Auf den Punkt gebracht
- Die langjährige ZiB-Redakteurin Sonja Sagmeister klagt den ORF, nachdem sie im Herbst 2022 gekündigt wurde, weil sie ein politisch "bestelltes" Interview verweigerte und daraufhin schikanösen Maßnahmen ausgesetzt war
- Der Fall wird am Wiener Arbeits- und Sozialgericht verhandelt, wobei die Unabhängigkeit des ORF und die Motive für die Kündigung im Mittelpunkt stehen