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Soziologe Girtler: "Wir tragen doch alle eine Maske"

Masken sind jetzt Teil unseres Lebens. Es ist alles sehr schnell gegangen und scheint schon fast "Normalität" - in der U-Bahn oder im Shop. Aber was verändert die Maskenpflicht, wie wirkt sich die Verhüllung unseres Gesichts auf die Kommunikation und das Leben aus? Der ehemalige Professor und Soziologe Roland Girtler (79) bietet uns eine neue und sympathische Perspektive auf die sogenannte "Anschober-Schiazn". 

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Soziologe Roland Girtler (79) mit Wanderhut: "Auch der Hut ist Teil einer Maskerade"
Soziologe Roland Girtler (79) mit Wanderhut: "Auch der Hut ist Teil einer Maskerade"
Haijes

Roland Girtler ist ein bekannter österreichischer Soziologe mit Humor. Derzeit hat er sich ins "Gebirge" verzogen, wie er es selbst nennt. "Ich sitze zwischen den Felsen in Spital am Pyhrn und am Nachmittag gehe ich wandern", lacht der agile emeritierte Professor aus dem Telefon. Das Thema der Maske findet er spannend und zieht eine überraschend positive Bilanz, wenn es um das Maskentragen geht.

Der Mensch hat eine Maske, auch wenn er keine trägt. Er zeigt eine Maske. Es gibt ein Buch von einem amerikanischen Soziologen (Erving Goffman) das heißt :"Wir alle spielen Theater"!

Wir sind jetzt verpflichtet, Masken zu tragen - in den öffentlichen Verkehrsmittel oder in Läden. Was bedeutet das für den menschlichen Kontakt?

Roland Girtler: Die Maske gehört zum menschlichen Leben! Der Mensch hat eine Maske, auch wenn er keine trägt. Er zeigt eine Maske. Es gibt ein Buch von einem amerikanischen Soziologen (Erving Goffman) das heißt: "Wir alle spielen Theater"!

Roland Girtler: Irgendwie ist die Maske etwas, was zum Menschen dazugehört. Das Wort Person leitet sich ja auch von der Maske ab. Der Begriff leitet sich von dem Griechischen prosopon (Gesicht) ab und vom lateinischen persona (Maske). Und das Wort Persona, kommt von personare, und heißt soviel wie "durchtönen". Er "tönt durch die Maske durch".

In bestimmten Jahreskreisen gibt es Masken: Krampus, Weihnachten oder im Fasching. Da ist es besonders extrem. Der Mensch trägt Maske und er schminkt sich!

Der amerikanische Soziologe Dan Everett vom Bentley College in Massachusetts sagte in einem Interview unlängst: "Wir sind jetzt wie Hunde ohne Schwänze". Wie sehen Sie den universalen Verlust des Gesichts durch das Maskentragen?

Roland Girtler: Eine Maske ist, wie ich vorher sagte, gar nichts Ungewöhnliches. Dem einen gefällt es, dem anderen nicht. Man kann sich hinter einer Maske auch verstecken.

Die Maske an sich ist auch etwas Menschliches, denn in allen Kulturen gibt es sie. In bestimmten Jahreskreisen gibt es Masken: Krampus, Weihnachten oder im Fasching. Da ist es besonders extrem. Der Mensch trägt Maske, er schminkt sich. Manche Damen zahlen viel Geld, damit sie Masken aufsetzen, von denen man glauben soll, dass sie keine Masken sind. Es sind aber Masken. Es gehört also zum menschlichen Leben – "durchtönen, durch die Masken zu tönen".

Was sind denn die positiven Aspekte der Maske?

Roland Girtler: Im griechischen Theater wurde mit Masken gespielt und aufgeführt, auch die Frisuren haben etwas mit Masken zu tun. Wie man sich darstellt, wie man sich zeigt – eine Maske ist hier nichts Ungewöhnliches.

Manche nennen die Maske schon liebevoll Anschober-Schiazn: Sie können bereits bunt sein oder haben Muster, auch hier kann man etwas tun, um sich selbst zu gefallen. Der Mensch ist kreativ und wandelbar und kann auch die Maske für sich nützen und individualisieren.

Im Alt-Griechischen, da ist der Mensch, der ohne Maske ist - er selbst. Er ist also der, der sich nach außen nicht verstellt. Das leitet sich im Griechischen von "Idio" ab - also er selbst. Der, der er selbst nach außen ist, ist "Idiotos". Das ist der "Depperte", der nur eine Identität hat.

Ein Lächeln sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. Wir achten also sehr auf unsere Körpersprache. Verdeckt eine Maske das Gesicht, fällt eines unserer wichtigsten Kommunikationsmittel weg. Werden wir uns jetzt "noch" schlechter verstehen?

Roland Girtler: Mit den Augen funktioniert das jetzt. An denen kann man jetzt festmachen, was man will. Augen, Kopfnicken und Bewegungen – das muss man nur beobachten. Im arabischen Raum kommunizeren Frauen viel mehr mit den Augen. Die Augen sind ja auch geschminkt und auch Schminke hat etwas mit Maske zu tun.

Das ist das Spannende am Menschen. Wir zahlen auch viel, um Masken zu tragen, was kostet zum Beispiel Kosmetik?

Wilhelm Busch sagte: "Kein Ding sieht so aus, wie es ist. Am wenigsten der Mensch". Mit den Augen kann ich auch lachen und auch wenn der Mund bedeckt ist, so bewegen sich doch etliche Gesichtsmuskeln! Das kann man auch durch die Maske erkennen.


Wie ist das jetzt, wenn ich in die U-Bahn einsteige? Da sehe ich jetzt nur noch Menschen mit Masken...

Roland Girtler: Die tragen sie ja sonst auch! Beobachten Sie mal einen Mensch in der U-Bahn, wie sich sein Mienenspiel verändert. Eine Zeit lang ist er starr, dann beweglich und dann sieht er wieder woanders hin. Vielleicht will er jemandem gefallen. Dann zeigt er vielleicht ein Lächeln. Wilhelm Busch sagte: "Kein Ding sieht so aus, wie es ist, am wenigsten der Mensch".

Mit den Augen kann ich auch lachen und auch wenn der Mund bedeckt ist, so bewegen sich doch etliche Gesichtsmuskeln, das kann man auch durch die Maske erkennen.

Welche Folgen könnte das Maskentragen auf das Sozialverhalten noch haben? Was könnte es zum Beispiel für die Kinder bedeuten?

Roland Girtler: Der Mensch ist ja beweglich und er verändert sich auch: Einmal nimmt er eine Maske, einmal versucht er, er selbst zu sein. 

Kinder können sich viel schneller auf neue Situationen einstellen, aber Kinder sind keine "Idioten", sie können sich sehr schnell anpassen.

Der Mensch ist ein schlaues Wesen, ein "anima symbolikum", ein Wesen, das Symbole braucht. Verstehen Sie? Symbole wie Kleidung, Frisur und auch die Maske können also Teil dieses Spiels werden.

Sehen Sie auch negative Aspekte?

Roland Girtler: Man muss nicht immer alles negativ sehen. Es ist natürlich wichtig, seine Gesundheit zu schützen, aber darüber kann ich nicht sprechen, da ich kein Arzt bin. Ich sehe keinen Verlust der Kommunikation, wenn wir die Maske tragen. Im Gegenteil, wir können etwas Neues dazulernen.

Es ist spannend zu sehen, wie die Menschen jetzt damit umgehen. Manche suchen sich bunte Masken, oder bestimmte Formen. Es beeinflusst uns – es ist ein Schutz, aber man kann es auch spielerisch sehen. Der Mensch macht was daraus, er spielt sich damit.

Wie haben Sie die Ausnahmesituation jetzt erlebt?

Roland Girtler: Ausnahmesituationen verlangen immer nach einer Form der Kollegialität und des Zusammenlebens. Auch ich persönlich habe die Ausnahmesituationen erlebt: Ein Student hat mich zum Beispiel gefragt, ob er für mich einkaufen gehen soll. Das hat mich sehr gerührt, ich habe es nicht in Anspruch genommen, aber ich werde ihn später einmal einladen. Oder meine Familie will nun wieder vermehrt gemeinsam essen – mit Abstand natürlich.

Es ist eben essentiell, dass man das Positive auch in schwierigen Zeiten sehen kann. Das gelingt dann, wenn man über sich lachen kann und Respekt vor anderen Menschen hat.

Was können Sie uns noch mit auf den Weg geben?

Roland Girtler: Man muss nicht immer alles negativ sehen. Wie bei der Maske, man nimmt einfach eine tolle Farbe der Maske. 

Es ist eben essentiell, dass man das Positive auch in schwierigen Zeiten sehen kann. Das gelingt dann, wenn man über sich lachen kann und Respekt vor anderen Menschen hat. Man bleibt ein "Homo Ludens", ein spielender Mensch. Ich bin immer klettern gegangen, das hat schon der alte Viktor Frankl seinen Patienten empfohlen. Denn beim Klettern erlebt man Ausnahmesituationen und das "demaskiert" de facto den Menschen. Und in Wien fahre ich zwei Mal die Woche mit dem Fahrrad auf dem Kahlenberg.

Bob Dylan, der Sänger, der im selben Jahr wie ich geboren ist, sagt immer, dass es wichtig sei, keinen Hass, keine Niedertracht und keinen Neid zu empfinden! Aber man braucht einen guten Schmäh!

Roland Girtler ist Soziologe, Kulturanthropologe und Schriftsteller. Er ist im Jahr 1941 geboren und beschäftigte sich unter anderem mit Burschenschaften, dem Rotlichtmilieu, der Wilderei und betrieb Feldforschung in vielen Ländern. Er ist auch bekannt als Abenteurer. Er kam per Autostopp bis nach Istanbul, durchquerte Griechenland zu Fuß und fuhr mit dem Rad bis nach Paris.

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