Politik

Eine Sommernacht mit Netrebko, aber ohne Kurz

Ein Präsident, kein Kanzler, etwas Hollywood, Netrebko, Traumwetter - es war vieles neu beim Sommernachtskonzert 2018. Aber nicht alles.

Heute Redaktion
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Vor ein paar Wochen traf ich im Hof des Wiener Rathauses zufällig den damaligen Bürgermeister (wer erinnert sich noch an ihn?) Michael Häupl. Ich fragte ihn, warum er einen Schirm dabeihabe. „Damit es nicht regnet", antwortete er. Der Satz erinnerte mich an Zeiten, in denen man in allen Restaurants noch rauchen durfte. Da zündete man sich, wenn man hungrig war, eine Zigarette an, denn spätestens beim ersten Zug kam das Essen. Die Episode von Onkel Häupl hätte sich jedenfalls gut in einem dritten Teil der "Tante Jolesch" gemacht.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil es früher beim Sommernachtskonzert, das es seit 2004 gibt (da noch unter den Namen „Konzert für Europa"), fast immer regnete. Schirme sind im Schönbrunner Schlosspark seit jeher verboten (wie Faustfeuerwaffen seltsamerweise auch). Hätten die Veranstalter die Häupl-Regel gekannt, sie hätten von Anfang an jedem Besucher am Eingang einen Schirm in die Hand gedrückt und es wäre immer trocken geblieben. So aber konnte man sich schon im Jänner in den Kalender eintragen, dass an diesem bestimmten Tag im Mai das Wetter immer schlecht sein wird. Eine solche Präzision schaffen die Eisheiligen nicht.

Heiß wie in Verona

In der zweiten Hälfte des Konzerts wurde es bisher auch meist frisch, der Park ist ja recht zugig. Vor einigen Jahren saß mein lieber Kollege Hubert Patterer von der „Kleinen Zeitung" in meiner Nähe. Nun weiß ich, dass Kernöl die Steirer (Patterer ist zwar Kärntner, eigentlich Villacher, aber dafür kann er ja nichts) von innen gut abdichtet, aber er hatte nur leichte Sommergarderobe an, keinen Mantel dabei, eine Decke zum Wärmen lehnte er mit großer Geste ab. Patterer ließ sich nichts anmerken, aber seine Bewegungen wurden, je länger der Abend dauerte, immer sparsamer. Es dürfte aber alles gut ausgegangen sein, denn im darauffolgenden Jahr, als ich wieder zum Sommernachtskonzert kam, saß er nicht mehr da.

Diesmal aber war in Schönbrunn fast alles anders, auch das Wetter. Neue Regierung, neue Politiker, erstmals Anna Netrebko als Solistin, der neue US-Botschafter Trevor Traina erlebte seine Premiere, Hollywood-Star Charlize Theron (die den gesamten Abend über professionell gelangweilt dreinsah) ebenfalls und da wollte der Himmel keine üble Laune machen. Kurz vor Konzertbeginn zogen dunkle Wolken auf, sahen die vielen Leute und ließen es woanders regnen. Es blieb bis zum Ende trocken und heiß. 105.000 Zuschauer standen und saßen (auf mitgebrachten Decken, die sind eigentlich auch verboten) hinauf bis zur Gloriette. Rekordbesuch, auch neu.

Reihe F, Platz 15

Was anders war: Knapp vor Beginn, wenn der Park schon vom Publikum geflutet ist, kamen bisher immer der aktuelle Kanzler und manchmal auch der Vizekanzler, lächelten, schüttelten den anderen Regierungsmitgliedern, die sie vermutlich zehn Minuten lang nicht gesehen hatten, die Hände, setzen sich und es ging los. So war es bei Faymann, Spindelegger, Kern, nur Mitterlehner lächelte nie. Ich glaube, er fand nur im Tarockieren Erfüllung. Kurz sah das schließlich auch so und ermöglichte ihm häufigeres Karteln.

Diesmal allerdings kam kein Kanzler, kein Vizekanzler, kein amtierender Bundespräsident und kein Nationalratspräsident. So saß ich in Reihe F, Platz 15 und sah Gernot Blümel das Land repräsentieren. Ich sage einmal so: Anna Netrebko hat sehr schön gesungen.

Der geheime Konzertplan

Das Programm des Sommernachtskonzerts wird maßgeblich von den Wiener Philharmonikern zusammengestellt. Ich habe hier schon Sibelius (mag ich), Tschaikowski (mag ich sehr) und diverse Angehörige des Strauss-Clans (können mir allesamt gestohlen bleiben, darf man das in Wien sagen?) gehört. Die Politik hat da nur ein bisschen mitzureden und natürlich weiß ich, dass die Vorbereitung eines solchen Ereignisses Jahre dauert und man die Netrebko auch nicht über Nacht nach Schönbrunn locken kann.

Aber: Nun haben wir eine neue Regierung und man hört viel über den neuen Stil und dass Türkis/Blau nichts gern dem Zufall überlässt, warum also ausgerechnet das Konzert in Schönbrunn? Jedenfalls könnte die Vorbereitung heuer so gelaufen sein (wird natürlich jeder dementieren, aber lassen sie sich davon nicht irritieren):

Kulturminister Gernot Blümel stellte sein bewährtes SWAT-Team zusammen, bombensicher in der Wikipedia-Recherche, wie man spätestens seit seinem Auftritt im ORF-„Kulturjournal" weiß, da muss man kein Turmbauer zu Babel sein. „Folgende Situation schlicht und ergreifend", sagte Blümel (vermute ich) und setzte sich breitbeinig hin wie ein richtiger Kerl in einer vollbesetzten Wiener U-Bahn: „Kreuzfahrtschiff, Einfahrt nach Venedig, Abendstimmung, Oberdeck – welche Musik soll die Kapelle an Bord schlicht und ergreifend spielen?" Es kamen viele Vorschläge, Blümel akzeptierte alle. Man nennt ihn nicht ohne Grund den Chuck Norris der Kultur.

Verdi, Puccini, Rossini, Prokofjew, Leoncavallo, der „Triumphmarsch" aus Aida, die Ouvertüre zu „La Forza del destino", „Tosca", „Schwanensee", „Cavalleria rusticana", „Manon Lescaut" – vor Schloss Schönbrunn wollte man es richtig krachen lassen. Früher hätte man das auf LP gepresst und bei „Donauland" als Quartalsempfehlung unter die Leute gebracht.

„Ich hätte schlicht und ergreifend noch eine Frage", sagte Blüml gegen Ende der Sitzung (also vermute ich) zu seinem SWAT-Team. „Wer singt uns jetzt eigentlich den Schaß?" Wieder kamen viele Vorschläge, diesmal aber war der Minister wählerisch.

„Fendrich?"

„Eine ziemlich Kretzn, hat mir den Stronach gesagt".

„Gabalier"?

„Hat sich der nicht gerade am GTI-Treffen den Schädel anghaut?"

„Netrebko?"

„Schlicht und ergreifend eine geniale Idee".

Netrebko in Deutschkurs?

Also wurde Anna Netrebko engagiert, aber das entpuppte sich als heikel. Denn sie ist ja seit 2006 (auch) österreichische Staatsbürgerin, obwohl sie kein Deutsch spricht, zumindest habe ich sie noch nie ein Wort sagen hören. Nun hat die Regierung aber vor Kurzem die Einführung von Deutschklassen beschlossen, um Zuwanderer besser integrieren zu können. Also hätte Kurz beim Sommernachtskonzert eigentlich auf die Bühne gehen und zu Netrebko sagen müssen: „Also Anna, Montag, 9 Uhr, NMS Renngasse, geschnäuzt und gekampelt".

Dazu kam es nicht. Er hat Netrebko nicht einmal angedroht, ihr die Mindestsicherung zu kürzen. Denn Kurz war, wie schon erwähnt, gar nicht da. Statt bei Donna Anna in Schönbrunn, war der Kanzler bergsteigen. Weil auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache schwänzte, hat Netrebko echt noch einmal Glück gehabt, so oder so.

Dafür war die halbe Regierung da. Kulturminister Gernot Blümel, Umweltminister Elisabeth Köstinger, Digitalministerin Margarethe Schramböck, Justizminister Josef Moser, Gesundheitsminister Beate Hartinger-Klein (hielt es erstaunlicherweise eineinhalb Stunden ohne Lachanfall aus), Staatssekretärin Karoline Edtstadler. Dazu Alt-Bundespräsident Heinz Fischer, Neos-Adios Matthias Strolz, Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer, Rechnungshofchefin Margit Kraker, Brigitte Bierlein, Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes, viel Wirtschaft von Rewe-Chef Marcel Haraszti bis Post-Vorstand Georg Pölzl, die Society von Dagmar Koller bis Harald Serafin. Und mittendrin, in Reihe D, Bogdan Roscic, ab 2020 Chef der Wiener Staatsoper.

Wem winkte Donna Anna?

Sie alle sahen eine Anna Netrebko in Höchstform. Sie sang drei Arien, darunter "Vissi d'arte, vissi d'amore" aus Tosca, vor einer Woche war sie dafür an der Met in New York nicht weniger bejubelt worden als gestern. Netrebko trug drei atemberaubende Roben, in Elfenbein, Schwarz und Hellblau und schmetterte ihre Auftritte mit einer derartigen Intensität ins Publikum, dass ich die Gloriette bei Tageslicht auf Risse untersuchen würde.

Zweimal winkte sie kokett ins Publikum, brachte einmal damit sogar Dirigent Valery Gergiev (brillant wie die Wiener Philharmoniker), der eben den Taktstock heben wollte, aus dem Konzept. Allgemeines Gelächter. Wem Netrebko winkte, blieb unklar. Eventuell Kurz in der Ferne, der vielleicht gegen Abend hin gerade die Eiger-Nordwand bestieg?

Gegen Ende bekam Anna Netrebko einen Blumenstrauß um geschätzt 3.000 Euro überreicht, sang als Zugabe, die Blumen in der Hand, "O mio babbino caro", das Büschel rutschte immer tiefer, drohte ihr aus der Hand zu fallen, aber sie hielt alles fest bis zum Schluss.

Es hat wirklich sehr geblümelt an diesem Abend.